GRIMASSEN

Ein Spiel mit Texten von Karl Kraus und Musik von Jacques Offenbach, Matthias Hauer und Hanns Eisler
von und mit Peter Schweiger (Sprecher) und Petra Ronner (Klavier)


Karl Kraus (1874-1936) studierte Philosophie und Germanistik in Wien. Er wirkte als Dramatiker, Lyriker und Vortragskünstler. Als Kulturkritiker gehört er zu den bedeutendsten im deutschsprachigen Raum des 20. Jahrhunderts. 1899 gründete er die Zeitschrift "Die Fackel", die bis zu Kraus’ Tod 1936 auf einen Gesamtumfang von 20'000 Seiten angewachsen war. Lebenslang kämpfte er in seinen Schriften Nacht für Nacht gegen Untertanengeist, gegen eine obrigkeitshörige Justiz, gegen eine meinungsmanipulierende Lügenpresse und gegen Sprachverlotterung. Mit dem Vortragen eigener Texte und teils vollständiger Werke von Shakespeare, Nestroy oder Offenbach erreichte er in hunderten von abendfüllenden Vorlesungen mit charismatischer Sprach- und Ausdruckgewalt begeistertes Publikum in Wien, Berlin, Prag, München, Zürich und Paris.


grimassen - sogar theater zürich 2017


Wir wollten des wohllüstigen Schauders nicht sicher sein, der sich beim Vortrag von Teilen aus Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit" gewiss einstellen würde und haben uns daher auf weniger bekannte Texte aus der "Fackel" gestützt. Sie belegen auf ihre Weise den genauen und zornigen Zeitgenossen einer problematischen Periode Europas.

Das Kernstück der Auswahl ist ein Brief Rosa Luxemburgs aus dem Gefängnis, den Kraus öffentlich vortrug und der die polemische anonyme Anwort einer Adeligen nach sich zog. Diese druckte er in der Fackel ab und zog mit allen Mitteln seiner Empörung darüber her, wobei er sich ohne Rücksicht auf politische Korrektheit als Humanist ersten Ranges behauptete.

Ein Filmausschnitt zeigt den leidenschaftlich Vortragenden 1926 bei der Lektüre eines Inserates aus der 'Basler Zeitung', das Erlebnisreisen zu den Schützengräben in Verdun und Ypern ankündigt.

Ein weiterer Schwerpunkt bildet das Schweigen von Karl Kraus angesichts der Machtübergabe an Adolf Hitler, den er bereits 1923 gemeingefährlich nennt. Ein erschütternder Versuch gegen einen Totalitarismus anzuschreiben, wie er derzeit vielerorts wieder im Entstehen ist.

Bei den Musikstücken handelt es sich um Couplets aus Operetten von Jacques Offenbach (1819-1880), denen Kraus für seine Vorlesungen jeweils eigene "Zeitstrophen" zu aktuellen Anlässen anfügte. Ausserdem erklingen Klavierstücke des Wieners Matthias Hauer (1883-1959), sowie eigene Klavierarrangements der Bühnenmusik von Hanns Eisler (1898-1962) zu Karl Kraus' "Die letzte Nacht", dem Schlusskapitel der "Letzten Tage der Menscheit".


"Die blosse Mahnung an die Richter, nach bestem Wissen und Gewissen zu urteilen, genügt nicht.
Es müssten auch Vorschriften erlassen werden, wie klein das Wissen und wie gross das Gewissen sein darf".

[Kraus, Aphorismen]


In diesem Land

In diesem Land wird niemand lächerlich,
als der die Wahrheit sagte. Völlig wehrlos
zieht er den grinsend flachen Hohn auf sich.
Nichts macht in diesem Lande ehrlos.

In diesem Land münzt jede Schlechtigkeit,
die anderswo der Haft verfallen wäre,
das purste Gold und wirkt ein Würdenkleid
und scheffelt immer neue Ehre.

In diesem Land gehst du durch ein Spalier
von Beutelschneidern, die dich tief verachten
und mindestens nach deinem Beutel dir,
wenn nicht nach deinem Gruße trachten.

In diesem Land schließest du dich nicht aus,
fliehst du gleich ängstlich die verseuchten Räume.
Es kommt die Pest dir auch per Post ins Haus
und sie erwürgt dir deine Träume.

In diesem Land triffst du in leere Luft,
willst treffen du die ausgefeimte Bande,
und es begrinst gemütlich jeder Schuft
als Landsmann dich in diesem Lande.



An den Bürger

Daß im Dunkel die dort leben,
so du selbst nur Sonne hast;
daß für dich sie Lasten heben,
neben ihrer eignen Last;
daß du frei durch ihre Ketten,
Tag erlangst durch ihre Nacht:
was wird von der Schuld dich retten,
daß du daran nie gedacht!

[ Kraus, "Worte in Versen"]


Lesung mit Zwischenspielen und Projektionen
Dauer 75’
technische Anforderungen:
Tisch + Stuhl
Klavier oder Flügel + Stuhl
Leselicht, Beleuchtung
Projektionsfläche (Rückwand, ev. Leinwand)

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